Bewehrtes in Neu-Göttin
Erfahrung 1 – Göttin (3).Wir schreiben das Jahr 2015. MARK RADLER erradelt den südlichen Außenbereich des Havellandes und entdeckt dabei Göttin, einen Ortsteil im Süden der Stadt Brandenburg.
Trutz und Farbenspiel
Nach dem kreativen Teil von Göttin lerne ich – zurück im Ort – das ganz andere Göttin kennen. Zwischen Bahn und Plane verläuft die Bindefeldstraße. Das scheint mir „Neu-Göttin” zu sein, vermutlich Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden, als die neue Städtebahn Göttin erschloss. Hier herrscht anscheindend so eine Art Wettstreit der Bewohner um die trutzigste und sonderbarste Verrammelung, wobei die hellblaue Fraktion deutlich in Führung liegt. Recht wunderlich. Ich frage mich, ob durch diese Bindefeldstraße vielleicht gelegentlich Horden wilder Tiere oder Vandalen ziehen, weshalb sich die Bewohner dieser Straße genötigt sehen, ihre Grundstücke so entschlossen wehrhaft zu verrammeln.
My home is my castle
Ich bin so fasziniert von diesen Trutzburgen, dass ich sie sogleich fotografieren muss. Und ausgerechnet in diesem Moment kommt eine der Bewohnerinnen nach Hause, deren Verhau ich gerade auf den Fotochip banne. Der kritische, wenn nicht gar missbilligende Gesichtsausdruck überrascht mich nicht, den kenn’ ich schon von meinen Touren übers Land. Und grüße gerade deshalb besonders freundlich. Das Gesicht der mittelalterlichen Frau entspannt sich etwas, dann gibt sie sich wohl innerlich einen Ruck und spricht mich an, was ganz und gar nicht selbstverständlich ist: „Darf ich fragen, wieso sie mein Haus fotografieren?”. Der gereizte Unterton ist nicht zu überhören, aber die Ansprache ist immerhin höflich. Lieber so, als nur misstrauisch bis feindlich beäugt zu werden. Man kann doch über alles reden. Freundlich gebe ich Auskunft und baue Misstrauen ein wenig ab. Immerhin erfahre ich dann noch, dass es in der Bindefeldstraße 10 eine Pension gibt: Dorchens Pension, Hofladen & Café. Klingt ja richtig niedlich und ich freue mich schon auf ein leckeres Drittfrühstück mit dampfendem Kaffee.
Und dann stehe ich entgeistert davor. Auch hier zeigt sich die typische Abwehrhaltung dieser Straße, die keinen Blick auf das zulässt, was sich dahinter befindet, die mich wahrlich nicht willkommen fühlen lässt. Das wirkt hier überall wie: hau bloß ab. Dabei vermute ich, dass die Göttiner hier doch wohl meistens unter sich sind. Wieso dann diese massive Außenabwehr? Oder gerade deshalb? Diese Abschottung hat immerhin Tradition. My home is my castle. So schützte man sich im Mittelalter vor Raubrittern. Das ist beste Burgwalltradition. Aber jetzt stehe ich doch vor einer Pension-Café-Hofladen-Einrichtung. Ich bin etwas ratlos und denke in mich hinein: liebes Dorchen, wie kannst du nur deine Pension, deinen Hofladen, dein Café so verbarrikadieren, wenn du Gäste oder Kunden für dich gewinnen willst? Willst du das überhaupt?
Hier nach einem Stück Kuchen mit einer Tasse Kaffee oder gar nach einem Zimmer zu fragen, das wäre schon ein kleines Abenteuer. Na gut, das ist also auch möglich in Göttin: ein Abenteuerurlaub. Ich klingle jedenfalls nicht und fahre weiter. Frische Fische gibt’s übrigens auch in der Bindefeldstraße (Fischereibetrieb Görne, Nummer 21). Ist für Fischliebhaber vielleicht ein Geheimtipp. Ich bin ja nicht so der Fischesser.
Ehrlich gesagt, hier hält mich nichts mehr, so fahre ich zurück über die Plane nach „Alt-Göttin”.