Kaltenborn – Dorf mit Dorfdeich
Nach der Erkundung von Wölmsdorf (s. MR No80) biegen wir am nördlichen Ende des Dorfes nach links in die L 812 und fahren in nordwestliche Richtung zum etwa 2,2 km entfernten Kaltenborn (siehe Topografische Karte).
Zwischen heiß und kalt
An diesem schwülen 34°-Tag verbindet sich mit diesem Ortsnamen Kaltenborn eine vollkommen illusionäre Hoffnung, die natürlich enttäuscht wird. Immerhin müssen wir nicht bergauf strampeln, denn Kaltenborn liegt mit 92 m NHN auf etwa gleicher Höhe wie Wölmsdorf.
Zu Kaltenborn findet man aktuell ja eher gruselige Nachrichten im Netz, denn hier lebte und wohnte der 2016 verurteilte Kindermörder Silvio S. Da wird einem dann doch etwas fröstelig. Aber das soll uns hier und jetzt nicht weiter beschäftigen.
Auf kleiner Wallfahrt
Mit nur 84 Einwohnern (2006) ist Kaltenborn ein wirklich kleines Örtchen. In Urkunden erschien das Straßendorf erstmals im Jahr 1225 als „Kaldenburnen“, was sich auf eine kalte Quelle oder einen kalten Brunnen bezieht und – wie in Wölmsdorf – auf eine Gründung im Rahmen der deutschen Ostkolonisation schließen lässt. Aufgrund einer vorbereitenden Recherche weiß ich schon, dass die historische bzw. archäologische Besonderheit Kaltenborns eine ursprünglich im Mittelalter angelegte Graben-Wall-Anlage ist, die auf der Westseite des Dorfes am besten erhalten ist. Um diese aufzusuchen, biegen wir kurz hinter dem Ortsteingang links von der Landstraße ab und stoßen nach etwa 120 Metern am südwestlichen Dorfrand auf besagten Dorfwall. Trotz Vorinformation bin ich vom guten Erhaltungszustand der Anlage überrascht, die aus einem bis etwa 1,5 m hohen Erdwall und einem vorgelagerten Graben besteht. Der Wall ist hier vorne von Robinien bestanden, im mittleren Teil weitgehend freigestellt und am hinteren Ende von älteren Eichen geprägt.
Bedächtig fahre ich am Wallgraben in nordwestlicher Richtung entlang, als ich ca. 60 m vor mir einen Mann beim Zerkleinern eines starken Astes bemerke. Auch hier haben schwere Gewitterböen der letzten Tage offensichtlich ihren Tribut gefordert. Was meine Fahrt augenblicklich stark verlangsamt, ist das Erblicken eines großen, unangeleinten Hundes. Was nu? Aber bevor ich mich entscheiden muss, werde ich von dem Mann bemerkt, und dieser beordert den Hund umgehend auf das gezäunte Privatgrundstück. Durch Zuruf und eine Winkbewegung werde ich zur Weiterfahrt ermuntert. Das nenne ich gastfreundliche Rücksichtnahme. Natürlich bedanke ich mich und komme mit dem älteren Herrn ins Gespräch. So erfahre ich, dass seine Familie seit über 500 Jahren in Kaltenborn ansässig ist. Und dann verweist er auf die historische Wallanlage, die bereits im Mittelalter wohl in erster Linie zum Schutz vor Schmelzwasser bzw. Hochwasser errichtet wurde. Aber, so wird gemunkelt, die Wallanlage soll zum Schutz vor Napoleons Soldaten Anfang des 19. Jahrhunderts erneuert worden sein, was den heutigen guten Zustand erklären würde, wenn, ja wenn die Umwallung um das ganze Dorf so aussehen würde. Tut sie aber nicht. Dieser hohe Wall findet sich (heute) nur an der Westseite, wie auch das Digitale Geländemodell aufzeigt (siehe DGM).
Schaut man sich die Topografie um Kaltenborn an, dann fällt auf, dass westlich des Dorfes, also dort, wo die Wall-Graben-Anlage am besten ausgebaut und erhalten ist, das Gelände auf deutlich über 100 m NHN ansteigt, während es in östlich-südöstliche Richtung über den so genannten Kesselgrund auf unter 90 m abfällt (s. Topografische Karte).
Da kann man sich gut vorstellen, dass nach einer starken Schneeschmelze oder Starkniederschlägen enorme Wassermassen Richtung Kaltenborn abfließen bzw. abgeflossen sind. Vor längerer Zeit, so erzählt mir der alteingesessene Kaltenborner, soll in einem Jahr mit besonders hohen Niederschlägen ein Bauer mit seinem Sohn in einem Waschtrog durch den Kesselgrund bis nach Niedergörsdorf gerudert sein. Solche Überflutungen hat mein Gesprächspartner hier allerdings noch nie erlebt, muss also lange her sein. Es spricht also alles dafür, dass wir hier einen historischen Dorfdeich mit mittelalterlichen Ursprüngen vor uns haben.
An dieser Stelle gewährt uns Joachim Herrmann in seinem Handbuch über die Wall- und Wehranlagen des Bezirks Potsdam (DDR) vertiefende Einblicke in die Historie der Kaltenborner Wallanlage. Demnach kann man aus einer Lokationsurkunde aus dem Jahre 1157 schließen, dass der damalige Erzbischof von Magdeburg flämischen Neusiedlern das Recht erteilt hatte, ihre Siedlungen gegen die benachbarten „Heiden“, womit die Slawen gemeint waren, zu umwallen, was diese wohl auch häufiger in Anspruch nahmen. Jedenfalls gab und gibt es im Fläming, der damals dem Magdeburger Erzstift gehörte und von diesem zur Kolonisation freigegeben war, tatsächlich ungewöhnlich viele Dörfer mit Dorfumwallungen. Anfänglich mag hier tatsächlich die Furcht vor den heidnischen Slawen eine Rolle gespielt haben, aber zumindest in Kaltenborn dürfte bald der Schutz vor Überschwemmungen entscheidender gewesen sein. Und hier war die Westseite des Dorfes topografiebedingt von besonderer Bedeutung. Nicht zufällig führt der Graben ja in den abschüssigen Kesselgrund. Der Ausbau der Wall-Graben-Anlage Anfang des 19. Jahrhunderts dürfte also vornehmlich die Aufwertung der Deichfunktion bzw. des Hochwasserschutzes zum Ziel gehabt haben.
Tourismus light – oder ein Geheimtipp kommt selten allein
Da fällt mir auf, dass an dieser archäologisch-historischen Besonderheit weder ein Hinweisschild noch eine Infotafel zu finden sind. Wir sind hier in Kaltenborn also abseits jeglichen Touristenrummels. Ist also ein Geheimtipp, dieses Kaltenborn.
Zurück im Ort erwartet uns ein recht schlichtes Flämingdörfchen. Als besonders sehenswert sind vor dem ehemaligen Pfarrhaus die alte Dorflinde (Naturdenkmal) und der 1998 daneben angelegte Dorfbrunnen zu nennen.
Und natürlich die spätromanische Feldsteinkirche aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Sie besteht aus Schiff, eingezogenem Chor und Apsis. Auf der Nordseite sind über dem Portal noch zwei ursprüngliche (romanische) Fenster erhalten. Das Kirchenportal weist übrigens im Innern eine Riegelvorrichtung auf, die auf eine im Mittelalter nicht unübliche Funktion als „Schutz- oder Wehrkirche“ hinweist. Nach ihrer Wiederherstellung nach einem Brand erhielt die Kirche 1785 den verschieferten Fachwerkturm. Etwas seltsam muten die drei Rundfenster auf der Südseite an. Auch sie dürften im Rahmen der barocken Umgestaltung entstanden sein, waren solche – auch „Ochsenaugen“ oder „Oculus/ Oculi“ genannten – Rundfenster im Barock doch sehr beliebt.
Kaltenborn – klein, aber oho.