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Mark Radler

Notizen aus der Provinz

No48 / 1. Oktober 2017

Albe Sache – Konspirative Geschäfte in Fredersdorf

Die bisherige Tour entlang der Plane hat uns auf die einst sächsische Seite der Niederung und dort über Dippmannsdorf und Lütte nach Fredersdorf geführt.

Auf Spurensuche

Nachdem ich mir das ansehnliche Mühlengehöft in Fredersdorf angesehen habe (s. MR No47), kehre ich zurück zur Baitzer Straße. Dort fällt mir eine Frau auf einem roten Fahrrad auf, die vor einigen Minuten schon einmal an mir vorbeigefahren war, nun aber in die entgegengesetzte Richtung fährt. Ohne dass ich das genauer erklären kann, kommt mir dabei irgendetwas verändert vor. Es ist wie so ein Vorher-Nachher-Suchbild, bei dem man feine Unterschiede erkennen muss. Hier ist der kleine Unterschied ein am Lenker hängender Einkaufsbeutel, der vorher, da bin ich mir sicher, nicht dort hing. Da stellt sich doch die Frage, ob es im Ort möglicherweise noch einen kleinen Krämer o.ä. gibt.

Bevor ich die Frage direkt an die Frau mit Fahrrad und Einkaufsbeutel richten kann, ist diese schon so weit an mir vorbei, dass ich ihr hinterher radeln müsste. Darauf habe ich keine Lust. Langsam fahre ich die Baitzer Straße entlang, in der Hoffnung hier einen kleinen Laden zu entdecken. Aber ich entdecke nichts. Eine Erklärung könnte sein, dass die gute Frau sich etwas aus der Nachbarschaft abgeholt haben könnte, was sogar sehr wahrscheinlich ist, denn wenn es hier ein Geschäft gäbe, würde doch sicherlich im Ortskern oder an der Zufahrtsstraße ein entsprechendes Hinweisschild stehen. Dem ist aber nicht so. Also wird hier in Fredersdorf auch kein Laden sein. So fahre ich langsam die Baitzer Straße zurück, stutze aber angesichts eines unauffälligen Hauses, vor dem zwei eiserne Fahrradständer stehen.

 

Für ein normales Wohnhaus ist das sehr ungewöhnlich, solche Ständer finden sich eigentlich eher vor Geschäften. Aber nichts, wirklich gar nichts weist auf eine besondere Funktion dieses Hauses hin. Es sieht aus wie ein Wohnhaus. Vielleicht handelt es sich um ein ehemaliges Gemeinschaftshaus der Gemeinde oder ein ehemaliges Geschäft, auch wenn es die dafür zu erwartenden Schaufenster nicht gibt. Oder hier war früher ein kleiner Frisiersalon, dafür muss es nicht unbedingt ausladende Schaufenster geben. In den beiden Jahrzehnten nach der Wende wurden ja viele provisorische Geschäfte eingerichtet, die später aufgegeben wurden. So wird es wohl auch hier sein.

 

 

Da fällt mir hinter dem einen Fenster, dessen Rollläden nicht herabgelassen sind, eine für ein Wohnhaus nicht gerade übliche Neonbeleuchtung auf. Unbewusst nähere ich mich dem Fenster und erblicke, versteckt hinter einer Gardine, einen in einer Klarsichtfolie steckenden Zettel mit handschriftlich vermerkten Öffnungszeiten. Also doch! Und danach hat dieses geheimnisvolle Etwas, was immer es auch ist, gerade geöffnet. Nun bin ich wirklich sehr gespannt, kann mir aber eigentlich immer noch nicht vorstellen, dass hier – so ohne jeden sichtbaren Werbehinweis – etwas verkauft oder angeboten werden sollte.

 

Konspirative Geschäfte

Mein Schritt zur Haustür, die von einem kleinen Windfang geschützt wird, verstärkt diese Einschätzung nochmals, denn auch hier findet sich nur ein normaler Klingelknopf mit Namensschild, so, als ob hier nur jemand wohnen würde. Und ich frage mich, was sich unter dieser konspirativen Adresse wohl verbergen mag. Hier werden doch wohl nicht etwa illegale Geschäfte abgewickelt?

Die nächste Frage lautet dann ganz schlicht, ob ich nun klingeln oder gleich versuchen sollte, die Tür zu öffnen. Ich entscheide mich mutig für einen sofortigen Öffnungsversuch – und der gelingt auf Anhieb. Beim Öffnen der Tür erkenne ich sogleich zur Linken den Eingang zu einem kleinen Verkaufsraum. Ich glaube es nicht: es handelt sich um eine konspirative Bäckerei.

Völlig verdattert trete ich ein und komme über ein verwirrtes Gestammel nicht hinaus. Die Backwarenfachverkäuferin, oder ist es die Inhaberin?, schaut mich irritiert an. Offensichtlich hat sie mein Gestammel nicht verstanden. So setze ich nochmals an und bringe meine große Verwunderung zum Ausdruck, dass diese Bäckerei so ganz im Geheimen existieren möchte und frage, ob denn Kunden nicht erwünscht seien?

Mein Gegenüber lächelt ob dieser Ahnungslosigkeit vom ländlichen Bäckerdasein mit leicht gequälter Miene, erklärt mir dann aber geduldig, dass im Ort doch alle den Bäcker kennen und Fremde sich hierher nicht verirren würden. Da mache eine Bewerbung doch gar keinen Sinn. Meine Frage, wie sich Fremde hierher verirren sollen, wenn sie von diesem kleinen Backwarenparadies gar nichts wissen, wird mit einem gestrengen Gesichtsausdruck erwidert. Ich fühle mich wie ein kleiner Junge, der zwar guter Dinge ist, aber von der rauen Geschäftswelt des ländlichen Brandenburgs nicht die leiseste Ahnung hat.

Könnte es aber nicht doch möglich sein, dass ein Hinweisschild an der B 102 den einen oder anderen backwareninteressierten Durchreisenden hierher nach Fredersdorf locken könnte? Aber das ist ja nicht mein Bier bzw. Brötchen, denke ich leicht eingeschüchtert.

Das Ganze ist mir doch etwas rätselhaft, auch wenn mich diese Eigenwilligkeit zugleich tief beeindruckt und an ein trutziges Dorf im Land der Gallier erinnert …

Albe Sache

Mit Erstaunen stelle ich dann fest, dass dieser kleine Bäcker sogar eine Auswahl an verschiedenen Korn- und Mehrkornbrötchen hat. Normalerweise beschränkt sich das Angebot so kleiner Landbäcker hier im Lande auf helle Brötchen, wie z.B. die in Berlin als Schrippen bezeichneten Backwaren. Vorsichtig frage ich nach, ob man mir denn als Fremdem überhaupt hiesige Backwaren zum späteren Verzehr überlassen würde. Das gehe natürlich schon. Erleichtert nehme ich das zur Kenntnis und erstehe konspirativ mehrere Kornbrötchen, denn der Kuchen ist leider schon ausverkauft. Am Rande sei bemerkt, dass sich insbesondere das Brötchen mit Sonnenblumenkernen am nächsten Morgen als ausgesprochen lecker erwies.

Ich erfahre dann noch, dass auch dieser Bäcker mehrere Orte in der Umgebung mit „rollenden Läden” beliefert und dass man damit – auch hier – gerade so über die Runden komme. Wobei mir der Gedanke kommt, dass man mit diesen fahrenden Bäckerläden hoffentlich etwas auffälliger zu Werke geht und nicht, wie hier in Fredersdorf, weitgehend unsichtbar auftritt. Dabei stelle ich fest, dass ich ja noch nicht einmal den Namen der Bäckerei kenne, in der ich gerade stehe, weil’s ja nirgendwo dran steht.

Es ist die Bäckerei Albe, in der ich gerade konspirative Geschäfte getätigt habe.

Auf Nachfrage erfahre ich, dass diese nichts mit der Bäckerei Albe im nachbarlichen Lütte zu tun hat (s. MR No45), wenn auch über zig Ecken eine ganz ferne verwandtschaftliche Beziehung zwischen den Albes in Fredersdorf und denen in Lütte bestünde. Das wäre dann auch geklärt.

Wir stellen beide noch fest, dass hier um die Plane herum doch eine ganze Menge Bäckereien erhalten geblieben sind. Und ich denke mir, wer weiß, wie viele Bäcker – und sonstige Läden – ich bisher einfach nur übersehen habe, die vielleicht ebenso im Geheimen wirken wie die Albes in Friedrich seinem Dorf.

Also Leute, passt immer schön auf Fahrradständer und andere verdächtige Einrichtungsgegenstände auf. Es gibt vielleicht viel mehr Geschäfte in diesem Land als wir zu ahnen wagen.

MARK RADLER will return …