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Mark Radler

Notizen aus der Provinz

No43 / 27. August 2017

Dietmars Dorf und der Weg ins Paradies

Die bisherige Tour entlang der Plane führte uns zuletzt durch die Niederung in die einst sächsische Ortschaft Ragösen. Nun geht’s weiter nach Dippmannsdorf

Kleiner Bahnhof

Nachdem wir Ragösen verlassen haben (s. MR No42), kommen wir nach etwa 300 Metern am Bahnhof Dippmannnsdorf vorbei, der eisenbahntechnisch vermutlich nur ein Haltepunkt war, aber auch diese Funktion seit der Streckenstilllegung 2003 nicht mehr erfüllen kann oder darf. Das Bahnhofsgebäude entspricht auch hier der bescheidenen Standardbauweise der Brandenburgischen Städtebahn. Etwas verwunderlich ist, dass der Bahnhof Dippmannsdorf von der Entfernung her deutlich näher bei Ragösen liegt. Aber inzwischen spielt das ja keine Rolle mehr.

Ideal für eine Kneipptour

Dippmannsdorf. Das klingt nun wirklich nicht slawisch, sondern urdeutsch und soll sich tatsächlich auf den deutschen Namen Dietmar beziehen und so viel heißen wie „Dietmars Dorf”. Und Dietmars Dorf hat etwas, nämlich eine sehr reizvolle Lage am Rand des Hohen Flämings – und dazu viel Wasser. Aber der Reihe nach. Schon auf der Dorfstraße (Freibadstraße) fallen mir diese ungewöhnlichen kleinen Schächte auf, die in regelmäßigen Abständen einen Blick auf einen unter dem Straßenniveau verlaufenden – verrohrten – Bach gewähren.

 

„Kneippschacht“ in Dippmannsdorf

Wasserbaulich haben diese Dinger bestimmt einen speziellen Namen, aber ich bin kein Wasserbauer und muss sie daher behelfsmäßig als kleine Schächte bezeichnen. Das klare und kühle Wasser fließt hier in ordentlicher Geschwindigkeit durch, an einigen dieser Schächte haben sich sogar Wasserpflanzen angesiedelt. An einem Schacht entdecke ich die bachtypische Berle.

Eigentlich ist das doch die perfekte Einrichtung für eine „Kneippkuranlage”, zumal jeder dieser kleinen Schächte bereits 3 Stufen aufweist, über die man ins Bachbett herabsteigen könnte. Sehr ungewöhnlich das Ganze.

 

Und plötzlich lockt das Paradies

Und plötzlich stehe ich vor einem Schild, dass mir doch tatsächlich den Weg ins Paradies weist, wobei mich das Schild und das ganze Drumherum in seinen öden Brauntönen doch am Wahrheitsgehalt der Wegweisung zweifeln lässt. So stelle ich mir den Weg ins Paradies nun wirklich nicht vor. Auf der anderen Seite, bedenke ich, ist der Weg zum Paradies ja noch nicht das Paradies selbst. Verunsichert fahre ich die Dorfstraße erstmal weiter und stoße bald auf einen bachartigen Graben oder grabenartigen Bach, der glasklares Wasser aus dem Hohen Fläming ins Urstromtal abführt. Herrlich, dieses klare Wasser. Wenn ich hier schon kein Paradies finde, so doch vielleicht eine schöne Quelle, denn irgendwoher muss dieses klare Wasser ja kommen. Und seit meiner Kindheit – und wunderschönen Ferienerlebnissen in quell- und bachreichen Mittelgebirgslagen – liebe ich Quellen und klare Bäche. So fasse ich Mut, dem Schilde nach ins Paradies zu folgen, immer gewahr des Risikos, dass so ein Paradies auch seine Tücken hat.

Mühlengraben in Dippmannsdorf

Zum Paradies geht’s erstmal rauf

So schiebe ich mein Rad mühselig den steilen Fläminghang aufwärts und komme dann bald auf Dietmars Mühlenstraße an und folge dieser in südliche Richtung, also in Richtung des grabenartigen Bachs von vorhin, der sich einige Augenblicke später als Mühlengraben entpuppt. Auf einer Infotafel findet sich dann auch in Sachen Paradies des Rätsels Lösung. Als Paradies wird hier ein idyllisches Quellgebiet am Steilhang des Hohen Flämings bezeichnet. Aufgrund des steilen Abfalls und unterlagernder wasserdichter Schichten kommt es im Bereich der Böschungskante zu mehrfachen Grundwasseraustritten, was unsereiner einfach als Quellen und Fachleute auch als Quellschüttungen bezeichnen. Hier am Rand von Dippmansdorf bilden die vielen Quellen entlang einer Hangmulde eine so genannte Quellnische, die von klarem Quellwasser geradezu überschwemmt wird. Es sollen hier mehrere Dutzend Quellen bestehen.

 

Das Paradies gefunden

Das klare, kalkarme und kühle Quellwasser der zahlreichen Sickerquellen schafft natürlich einzigartige Lebensräume für zahlreiche spezialisierte Tier- und Pflanzenarten, womit uns heute vor allem die paradiesische Begrifflichkeit begründet wird. Nach der Webseite des Ortes soll der Name Paradies allerdings auf zwei auf seltsame Art zusammengewachsene Buchen zurückgehen, die an ein Liebespaar erinnern, aber das ist vermutlich nur eine der üblichen Ortslegenden. Es ist gut vorstellbar, dass in vergangenen Zeiten den hier siedelnden Menschen diese üppige – und in hiesigen Breiten ganz und gar nicht übliche – Versorgung mit frischem Quellwasser an sich schon als paradiesisch erschienen sein muss. Hier hatte man seit Urzeiten wirklich frisches Wasser frei Haus, in einer Qualität, die unserem heutigen Trinkwasser gleichkommen dürfte. Und man hatte Wasser für die Fischzucht und den Betrieb von Mühlen, alles Dinge, die für damalige Siedler lebenswichtig bzw. von existenzieller Bedeutung waren. Dazu ist anzumerken, dass die Landschaft des Hohen Flämings selbst als sehr wasserarm gilt, was allerdings nur insofern stimmt, wenn man seine Betrachtung auf dessen Oberfläche reduziert. Im Untergrund sammeln sich dagegen enorme Mengen Wasser, die dann an den Randlagen des Hohen Flämings zu solchen paradiesischen Zuständen führen. Die in der vorindustriellen Zeit vor allem dazu beigetragen haben, das Leben der Menschen zu erleichtern oder gar zu ermöglichen. Wir, die wir den konkreten Bezug zu den existenziellen Grundlagen unseres Lebens weitgehend verloren haben, das Wasser kommt ja nicht versiegend aus dem Wasserhahn und der Strom ohne Unterlass aus der Steckdose, wir können uns heute den Luxus leisten, so ein „Quellparadies” in einer Art höherem Sinn zu verstehen, als Ort der Liebenden oder Ort seltener Arten. Dass man allein schon die grenzenlose Verfügbarkeit von klarem Wasser als paradiesisch empfinden könnte, kommt uns Kunden der örtlichen Wasserwerke gar nicht mehr in den Sinn. Dagegen ist auch gar nichts zu sagen, aber wir sollten nicht vergessen, wie privilegiert wir in dieser Hinsicht gegenüber unseren Vorfahren – und Menschen anderer Weltgegenden – sind. Und sollten unsere trotzdem so ausgeprägte Unzufriedenheit zumindest gelegentlich mal hinterfragen.

Das Paradies

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