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Mark Radler

Notizen aus der Provinz

No9 / 29. Januar 2017

SSZ Dywidag – so klein kann großer Wahnsinn sein

Erfahrung 1 – Reckahn (4). Wir schreiben das Jahr 2015. Mark Radler erradelt den südlichen Außenbereich des Havellandes. Nach der Ortschaft Göttin wird nun Reckahn erfahren.

Es war einmal ’ne Eisenbahn

Nach der ausgiebigen Betrachtung des pyramidalen Preußenwunders (s. MR No8) entschließe ich mich, zurück ins Zentrum von Reckahn zu fahren. Auf der hastigen Fahrt zur Pyramide war es mir gar nicht aufgefallen, dass ich dabei erneut die einstige Brandenburgische Städtebahn überquert hatte. Und gleich neben dem Bahnübergang findet sich der ehemalige Bahnhof Reckahn, der wie der Göttiner Bahnhof längst privatisiert wurde.

 

Kaum vorstellbar, dass hier bis zum Dezember 2003 noch die Eisenbahn gefahren ist.

Minifreilichtmuseum am Bahnhof Reckahn

Direkt am Bahnübergang fällt mir dann ein kleiner röhrenartiger Betonbau auf, wie er mir schon öfters über den Weg „gelaufen” ist, meist ebenfalls an irgendwelchen Bahnstrecken. Hier aber findet sich auf einer kleinen Infotafel endlich eine – sehr ausführliche – Erklärung und Beschreibung dieser eigenartigen Röhren, denn ich stehe vor einer Art Freilichtmuseum, freilich im Miniaturformat.

Splitterschutzzelle Dywidag

Splitterschutzzelle (SSZ) der Bauart Dywidag

Nach der Beschreibung der Infotafel handelt es sich hier um eine so genannte „Splitterschutzzelle” (SSZ) der Bauart Dywidag. Dywidag, das hört sich wie der Name einer lustigen Comicfigur an, ich denke unvermittelt an Dywidagse, aber dieses Betonding ist ganz und gar nicht comisch. Die Dywidagse wurden nämlich zwischen 1941 und 45 in Großserie produziert und vielfach an Bahnhöfen oder Bahnübergängen aufgestellt, um hier Schrankenwärter und andere Bahnbedienstete vor Luftangriffen zu schützen und so den Bahnbetrieb im zunehmend von Bombardierungen bedrohten Land aufrecht zu erhalten. So klein kann großer Wahnsinn sein. Ich stelle mir vor, wie das wohl ist, in so einer engen Röhre zu stecken, wenn rundherum die Bomben fallen und detonieren. Die Vorstellung ist sehr beklemmend. Bei allem Mitgefühl sollten wir aber nie vergessen, wer diesen ganzen Wahnsinn angezettelt hat.

Dywidag ist übrigens eine Abkürzung für den großen Baukonzern Dyckerhoff & Widmann AG, der diese Dinger produziert hat. Es gab auch andere Bauarten solcher Splitterschutzzellen, d.h. andere Hersteller, wobei die kleinen Bunkerröhren auch bauliche Unterschiede aufwiesen. Wer mehr darüber erfahren möchte, der wird im Internet fündig.

 

Und wieder falle ich in tiefes Grübeln. Kampf und Krieg, auch die Mark bzw. Brandenburg ist voll von Zeugnissen davon, von Zeugnissen, die Jahrhunderte, ja mehr als ein Jahrtausend umspannen. Wir werden sie bei unseren Erfahrungen nicht ignorieren können.

MARK RADLER will return …