Lindow – oh weh (?)
Unsere kleine Flämingdörfer-Tour führt uns nun von Kaltenborn (s. MR No81) in nordwestliche Richtung ins gut 3 km entfernte Lindow. Lindow, oh weh.
Oh weh, teutonica vs. slawica – Verwirrungen um Lindow
Oh weh? Nee, damit ist überhaupt kein Klagelied angestimmt, ganz und gar nicht, sondern nur auf die Endung des Dorfnamens „ow“ verwiesen. Endlich mal ein slawisches Dorf im Fläming, denkt sich MARK RADLER.
Dieses wundervolle ow, das so viele Orte im Märkischen ziert und das der Märker mit einem stilvollen, langgedehnten ohh ausspricht, hier also als Lindohh, der Fremde (oder Unkundige) aber als hartes off ausblafft: Lindoff. Und dieses ow weist uns doch auf einen slawischen Ursprung hin, denkt MARK RADLER. Aber ganz so klar ist die Sache dann doch nicht, auch wenn ihn die Webseite der Gemeinde Niedergörsdorf, zu der Lindow inzwischen gehört, zunächst vollauf zu bestätigen scheint. Heißt es doch dort, dass unser Lindow urkundlich erstmals 1142 als „wendisch Linde“ erwähnt wurde. Wendisch hieße ja slawisch. Aber andere Quellen sagen anderes. So z.B. Reinhard Fischer in seinem Ortsnamenlexikon, nach dem unser Lindow 1237 erstmals als „Linde“ erwähnt wurde und 1459 den Zusatz „teutonica“ erhielt, zur Unterscheidung des ebenfalls 1459 als „Linde slawica“ bezeichneten Ortes im heutigen Kreis Wittenberg (beide Lindes gehörten damals ja nicht zu Brandenburg). Da erfahrungsgemäß die Webseiten von Gemeinden und Städten oftmals von historisch Unkundigen zusammengestoppelt werden, halte ich Fischers Angaben für glaubwürdiger. Nach Fischer wurden insbesondere im 16. Jahrhundert nicht wenige Orte deutschen Ursprungs – zur besseren Unterscheidung gleichlautender Orte – mit der Endung ow versehen, da es inzwischen als typisches Ortsnamenmerkmal der Region galt. Und genau das ist wohl auch mit dem Namen unseres Linde (Lindow) geschehen. Etwas kurios ist dabei freilich, dass ausgerechnet das „teutonische“ Linde das eigentlich slawische ow erhielt, während das wendische (slawische) Linde zu Linda wurde. Schließlich bestätigen auch archäologische Befunde, dass unser Lindow keine slawischen Ursprünge hat, denn im ausgewiesenen Bodendenkmal wird nur ein „Dorfkern deutsches Mittelalter“ vermerkt. Von slawischen Spuren ist keine Rede.
Ganz dicke Romanik
Auch die Dorfform Lindows ist ungewöhnlich. Es deutet sich zwar mit dem Dorfteich so etwas wie ein Angerdorf an, aber sehr ausgeprägt kommt diese Struktur hier nicht rüber. Und die Dorfkirche steht auch nicht auf besagtem Anger, wie es für Angerdörfer ja sonst üblich ist, sondern auf einer am Südostende des Dorfers sich dreieckig erweiternden Fläche, um die sich wiederum einige Vierseitenhöfe gruppieren (s. Luftbild). Hier am Ortsein- oder Ausgang (?) erscheint uns der quer zur Dorfstraße stehende Feldsteinbau geradezu wie eine Trutzburg. Zu diesem Eindruck passt auch, dass der mittelalterliche Turmunterbau ein tonnengewölbtes, durch eine schwere Eisentür abgeschlossenes Untergeschoss aufweist, das vermutlich als Bergeraum wertvoller Habseligkeiten in Gefahrenzeiten diente. Der eigentliche Turmraum wird zum Kirchenschiff durch eine starke flachbogige Holztür „gesichert“, die mit rautenförmigen Eisenbeschlägen überzogen ist, und weist nach außen nur eine schlitzförmige Lichtöffnung in der Südseite auf, die den trutzigen Charakter der Anlage untermauert.
Ursprünglich war der Turm wohl höher, wurde aber im Dreißigjährigen Krieg „ruiniert“ und ein Teil der Steine anderweitig verwendet. Der Lindower Kirchenbau ist laut Denkmalbehörde insgesamt baugeschichtlich von besonderem Interesse und birgt bis heute verschiedene Rätsel. Einige bauliche Merkmale lassen es möglich erscheinen, dass die Kirche noch im 12. Jh. entstanden sein könnte, was sie nicht nur in die Gründungszeit der Mark Brandenburg stellen, sondern sie zu einem der ältesten Bauwerke des Landes machen würde. Die ursprünglichen Öffnungen sind durchweg rundbogig (romanisch), ebenso der deutlich eingezogene Triumphbogen im flachgedeckten Inneren. Von den sehr kleinen, hochsitzenden romanischen Fenstern sind noch drei auf der Nordseite gut erhalten, eines im Chor und zwei im westlichen Teil des Schiffs. Das über dem Chor in wesentlichen Teilen bewahrte Dachwerk aus dem 15. Jh. gehört zu den ältesten Zimmermannsarbeiten der Region, und das sonst selten verwendete Eschenholz ist noch eine weitere Besonderheit.
Auch dieser Bau wurde natürlich späteren – überwiegend barocken – Umbauten unterzogen (Fenstererweiterungen auf der Südseite, der Turmaufsatz mit einer verbretterten Fachwerkkonstruktion u.a.), aber der Gesamteindruck wirkt doch noch immer recht mittelalterlich und lässt unserer Fantasie viel Raum. Im Innern finden sich auch noch einige mittelalertliche Elemente wie eine Sakramentsnische oder ein Taufstein aus Sandstein und eine Bronzeglocke aus dem 15. Jahrhundert.
Dorf und Kirche gehörten übrigens vor 1284 dem Magdeburger Nonnenkloster St. Lorenz, danach bis zur Reformation dem Zisterzienserinnenkloster in Jüterbog. So viel zum Mittelalter.
Zurück in die Zukunft?
Da lenkt mich ein leises Surren ins Hier und Jetzt zurück. Denn im Westen Lindows erstreckt sich der große Windpark Lindow-Malterhausen, der die Luft rundum mit einem permanenten – oder nicht doch eher impertinenten? – Dauerton erfüllt. Immer wieder bin ich hin- und hergerissen, wenn ich diese Dinger sehe (und höre). Sie verschandeln die Landschaft, in dieser großen Zahl ganz zweifellos. Und sie berauben uns der Stille, die unserer lärmgeplagten Seele so wonnig wohl tut wie ein kühles Bad an einem heißen Sommertag. Und im Dunkeln könnte ich verzweifeln, wenn der ländliche Nachthimmel mit seinem magischen Schwarz durch rot blinkende Warnlichter zur öden Industriekulisse verkommt. Von den Eiswurfgefahren im Winter, die uns manche Wintertour vergällt, ganz zu schweigen. Auf der anderen Seite sind sie auch faszinierend, diese gigantischen Flügelräder, die schon von recht lauen Lüften in Bewegung gebracht werden und dann unermüdlich ihre Kreise drehen. Und wenn man sie für sich betrachtet, dann geht von ihnen manchmal sogar eine beruhigende Wirkung aus, dann haben sie durchaus etwas Majestätisches an sich. Aber es ist eben nicht einfach, sie nur für sich zu betrachten, denn sie stehen nun mal inmitten der Landschaft, und nicht selten in sehr attraktiver. Aber. Aber sie liefern „sauberen“ Strom, na ja, relativ sauberen Strom, und sind damit eine echte Alternative zur klimaschädlichen Verstromung fossiler Brennstoffe und der hochgefährlichen Atomkraftnutzung, deren strahlender Müll das Strahlenrisiko hunderten von Generationen aufbürdet. Unter Abwägung all dieser Fakten kann, ja muss ich die Windkraftnutzung als – hoffentlich nur temporär – notwendiges Übel akzeptieren, aber die mitunter geradezu orgiastische Begeisterung, die glückselige Besoffenheit, mit der manche für diese alternativen Energien schwärmen, die kann ich ganz und gar nicht teilen. Wir zahlen auch für diese Alternative einen hohen Preis.