Grenzwärtiger Blutrausch
Von den Briesener Bergen (s. MR No69) geht’s nun wieder zurück nach Brück. Aber eine Sache war da noch, nämlich die sächsischen Grenzsteine am Golzower Busch. Also, auf nach Ragösen und von dort ins Planetal.
Zurück nach Brück
In Ragösen studiere ich meine Karte und stelle fest, dass der Golzower Busch wohl am besten über die Siedlung Müggenburg nördlich von Ragösen zu erreichen ist. Leider findet sich in Müggenburg keine Burg, auch wenn eine solche dort mal bestanden haben mag. Aber Entsprechendes ist nicht überliefert und schon gar nicht archäologisch belegt. Urkundlich lassen sich die Ursprünge nur auf ein 1582 erwähntes Vorwerk namens Muckenburgk zurückführen. Muckenburg verweist auf einen Ort mit vielen Mücken. Na, da erwartet mich ja ein echter Spaß. Allerdings ist die Planeniederung, wie wir auf unserer bisherigen Tour erfahren haben, inzwischen ja weitgehend trocken gelegt und damit das Problem der Mücken vielleicht nicht mehr akut. Wir werden sehen.
Das kommt davon
Müggenburg selbst ist nicht der Rede wert, auch der Golzower Busch ist mehr Forst denn naturnaher Busch. Geschenkt, heute interessieren mich nur noch die sächsischen Grenzsteine, die den Verlauf der einstigen – hier bis 1815 verlaufenden – Grenze zwischen Brandenburg und Sachsen markieren.
An den Weggabelungen im „Busch” steuere ich konsequent immer in südliche Richtung und komme bald an der Südkante des Golzower Busches an, wo ich die einstige Grenze vermute, denn der Busch wird ja namentlich der urbrandenburgischen Gemarkung von Golzow zugewiesen.
Die vor mir liegende offene Landschaft wird bereits milde von der Abendsonne beschienen. Leider wird die Buschgrenze hier von keinem Weg begleitet, so dass ich mein Rad mühselig am Waldsaum entlang schieben muss, und das auch noch der Sonne abgewandt, denn es geht in östliche Richtung.
Nach wenigen Minuten treffe ich am Wiesenrand auf eine Blänke, aber hier hat sich nicht Wasser gesammelt, sondern eklig stinkende Gülle. Das ist nun wirklich nicht die feine (Landwirt-) Art, die Gülle ausgerechnet auf den Wiesen zu verklappen. Aber was soll’s, weiter geht’s Richtung Osten.
Ziemlich plötzlich fallen dann Schwärme von Mücken über mich her – überaus passend zum nahe gelegenen Muckenburgk. Das ist die erste Mückenplage, die ich in diesem Jahr erlebe. Und wie üblich treiben mich die höhnisch summenden Viecher in den gefühlten Wahnsinn. Ich schaue ratlos um mich und erkenne weit und breit keine Feuchtgebiete. Und trotzdem sind sie in Massen da, diese verfluchten Blutsauger. Ich stelle mir vor, wie das hier vor der Trockenlegung der Planeniederung mit den Mücken gewesen sein muss. Und das ist dann keine so schöne Vorstellung mehr. So eine „Großtrappensteppe“ hat doch einige Vorteile …
Aber das ist jetzt naturschutzfachliche Blasphemie.
Sofort rufe ich mich innerlich zur Ordnung und erdulde in tiefer Demut mein Schicksal als ehrenamtlicher Blutspender. Und noch immer habe ich keinen Grenzstein entdeckt. Hoffentlich habe ich ihn unter der Mückenpein nicht einfach übersehen. Das wäre übel.
Ich beginne mein Vorhaben langsam zu bereuen. Warum habe ich mich nicht mit dem einen Grenzstein bei Klein Briesen zufrieden geben können? Nein, wieder konnte ich nicht genug bekommen. Und nun geht auch noch langsam die Sonne unter. Und ich bin mutterseelenallein inmitten der Planepampa. Bis zum Bahnhof Brück brauche ich bestimmt noch mindestens eine Stunde, dann wird es vermutlich bereits dunkel sein.
Wer weiß, vielleicht wird das noch eine Fahrt unter Wölfen? Dieser Gedanke richtet mich sofort wieder auf. Vielleicht habe ich ja Glück und höre sie wenigstens schön-schaurig heulen.
Zwei Stein‘ vom Herzen und Freiblut für alle
Nun will ich gar nicht mehr lange drum herumreden: ich habe tatsächlich noch zwei Grenzsteine gefunden – und alle Mühsal war erstmal vergessen. Vom warmen Licht der Abendsonne erleuchtet, sahen diese Steine aus sächsischem Sandstein geradezu erhaben und edel aus. Etwa 400 Jahre auf Grenzwacht.
Lange konnte ich mich an diesem Anblick allerdings nicht ergötzen, denn die gierig umhersurrenden Blutsauger verstanden meine inwendige Pause offensichtlich als großmütige und selbstlose Einladung zum üppigen Festtagsschmaus – und so wurde ich – bei lebendigem Leibe – aus Millionen Rüsseln, wie mir schien, angezapft. Freiblut für alle, so lautete wohl die Kunde am Südrand des Golzower Busches. Und alle Mücken dieser Welt schienen das gehört zu haben und stürzten sich im Blutrausch gierig auf mich – und ich mich hastig auf mein Rad …
Mit den Wölfen hat es dann leider nicht geklappt. In Brück sah ich dann noch gerade die Rücklichter meiner Regionalbahn und durfte noch eine Stunde das nächtliche Brück erleben. Glücklicherweise gibt’s dort einen Dönerladen, der noch so lange geöffnet hat.