lädt…

Mark Radler

Notizen aus der Provinz

No41 / 13. August 2017

Kriegseichen zu Friedenseichen

Die Tour entlang der Plane hatte uns in das Örtchen Cammer geführt, von wo es auf die andere (westliche) Seite der Planenierderung in die einst sächsische Ortschaft Ragösen ging.

Fallen – oder Worte machen einen Unterschied

Am Eingang des Straßendorfes Ragösen erinnert uns eine kleine Infotafel an einen weiteren Krieg, der allerdings nichts mit den besagten Grenzstreitigkeiten um Ragösen zu tun hat (s. MR No40). Hier geht es um den Krieg von 1870/ 71 zwischen Preußen-Deutschland und Frankreich, an dem nach der Ortschronik auch 20 Ragösener beteiligt waren, von denen zwei bei Mars la Tour in Frankreich im Alter von 26 und 29 Jahren „fielen“. Fielen, so steht es auf dieser aktuellen Erinnerungs- oder Infotafel. Was ist das für eine seltsame Umschreibung eines durch und durch grausamen Menschenendes, als ob so ein Soldat, der ja auch ein Mensch ist, einfach so hinfällt, plumps, und das war’s dann. Dabei erinnere ich mich fassungslos daran, wie manch sich besonders kritisch wähnender Mitbürger vor einigen Jahren mit großer Genugtuung vernahm, als Regierung und Bundeswehr im Afghanistankrieg „endlich” von „Gefallenen“ – und nicht mehr „nur“ von Toten – sprach, so, als ob ausgerechnet der Begriff des „Gefallenen“ uns nun schonungslos die raue Kriegswirklichkeit am Hindukusch vermitteln würde. Dabei gibt es doch im Grunde kaum einen verharmlosenderen Begriff für das elendige – und meist auch noch sinnlose – Ableben eines Menschen, als der des „Fallens”. Das zeigt uns mal wieder, wie unkritisch auch kritische Bürger sein können …

 

Erinnerung im Wandel

Für die beiden „gefallenen” Ragösener, Aug. Friedrich und Frd. Wieland, wurde hier 1873 zur Erinnerung je eine Eiche gepflanzt, die heute in guter Absicht – aber damit auch etwas beschönigend – als „Friedenseichen” bezeichnet werden. Realistischerweise ist wohl anzunehmen, dass diese Eichen damals gepflanzt wurden, um, wie damals allenthalben üblich, dem glorreichen Sieg über Frankreich und dem Mittun „tapferer“ Ragösener zu gedenken, womit diese Eichen eher nachwachsende Kriegs- oder Siegesdenkmäler sind, als dass sie denn als Ausdruck pazifistischer Gesinnung betrachtet werden könnten. Auf den beiden Gedächtnistafeln in der Ragösener Kirche ist der wahre „Spirit” damaliger Erinnerungskultur und Gesinnung ja ganz unverblümt dokumentiert, denn dort heißt es: „… starb den Ruhmvollen Tod für König und Vaterland bei Mars la Tour …”. Das klingt ja kaum nach Bedauern, zumal die beiden Ragösener nicht bei der Verteidigung ihrer Heimat „fielen“, sondern fernab auf französischem Boden und im Rahmen eines Angriffskrieges. Dass so eine üble Botschaft übers „ruhmvolle Krepieren“ ausgerechnet in einer Kirche Platz finden konnte, sagt uns auch einiges über die Rolle und Verantwortung der Kirchen an der abendländischen Kriegstreiberei. Gerade deswegen sollten die Tafeln auch bleiben (wo sie sind), denn sie sind Zeugnis einer fürchterlichen – und bei uns hoffentlich überwundenen – kriegerischen Gesinnung und auch der sich daran einst anbiedernden Kirchen. Dass die kleine Info- oder Erinnerungstafel in Ragösen diese fragwürdigen Zusammenhänge aufzeigt und den Begriff der „Friedenseichen” als „Verpflichtung” interpretiert, wollen wir gerne als Fortschritt und Ermutigung auffassen.

MARK RADLER will return …

Post Scriptum

Manche Mitbürger meinen ja, dass unsere Erinnerungskultur sich zu stark an Kriegen orientiert. Daran mag etwas dran sein, aber wir sollten uns vor diesen Erinnerungen nicht drücken, führen sie uns doch immer wieder vor Augen, dass selbst der heutige Frieden in Europa – historisch gesehen – nun wirklich keine Selbstverständlichkeit ist. Und aktuell auch nicht, man blicke nur in Richtung Ukraine.