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Mark Radler

Notizen aus der Provinz

No80 / 10. Juni 2019

Wölmsdorf – ein deutsches Dorf im Fläming

Zum Mark Radler-Programm gehört es nun mal, bevorzugt das eher Unscheinbare abseits ausgelatschter Touristenpfade zu erradeln und zu erkunden. Ein kurzer Blick auf die Brandenburgkarte lässt spontane Fläminglust aufkommen, aber eben nicht auf die Highlights wie Bad Belzig oder Jüterbog, sondern auf „poplige“ Flämingdörfer. Als Ausgangspunkt fällt mir der Bahnhof Niedergörsdorf an der Bahnstrecke Berlin-Halle, der alten Anhalter Bahn, auf, die einst dem Anhalter Bahnhof in Berlin seinen Namen gab. Vom modernen Hauptbahnhof Berlin sind wir heutzutage mit dem RE 3 in 54 Minuten in Niedergörsdorf.

Kein großer Bahnhof

Bahnhof Niedergörsdorf

Wie so oft in der Provinz, so liegt auch dieser Bahnhof etwas abseits des namengebenden Ortes, nämlich etwa 1,2 km vom Ortszentrum Niedergörsdorf entfernt. Allerdings fällt dies hier nicht sofort ins Auge, denn ab Ende des 19. Jahrhunderts hat sich am Bahnhof eine kleine Siedlung entwickelt, die heute als Ortsteil Bahnhof bezeichnet wird. Anzumerken bleibt ferner, dass der Bahnhof wegen des fehlenden Bahnhofsgebäudes eigentlich nur noch den Namen Bahnsteig Niedergörsdorf verdient.

Ein längst verwaistes „Einkaufszentrum“ und ein wohl erst kürzlich geschlossener Bäckerladen verbreiten erstmal provinzielle Tristesse.

Einkaufszentrum im Ruhestand

Die Heinrich & Würfel sind gefallen

Denkmalgeschütztes Silogebäude von 1934

Von – vergangenen – ökonomisch besseren Zeiten zeugt ein stattlicher Backsteinkomplex der ehemaligen „Heinrich und Würfel – Mühlenwerke“ in der nahen Friedensstraße mit Mühle, Silos und Wohnhaus. 1906 als Dampfmühle errichtet, wurde der Betrieb 1918 elektrifiziert und 1928 erstmals erweitert. Das auffällige Silogebäude mit dem markanten (gemauerten) Schriftzug auf der Ostseite stammt von 1934. Zu DDR-Zeiten, genauer gesagt im Jahr 1961, erfolgte im Zusammenhang mit staatlichen Maßnahmen zum Abbau der Überkapazität bei der Mehlproduktion eine Umstellung auf Futtermittelproduktion (Schrot). Irgendwann nach der Wende kam dann auch hier das Aus. Der gesamte Mühlenkomplex mit vollständig erhaltener technischer Einrichtung unterschiedlicher Entwicklungsstufen ist ein seltenes Zeugnis für die Industrialisierung des Mühlengewerbes und steht folgerichtig unter Denkmalschutz. Leider verfällt das Gebäudeensemble, für das dringend Käufer gesucht werden.

Auf nach Wölmsdorf

Uns zieht es nun in westliche Richtung nach Wölmsdorf, das etwa 940 m Luftlinie vom Bahnhof Niedergörsdorf entfernt liegt. Dieses Wölmsdorf ist ein Sackgassendorf und hat laut Wikipedia aktuell ca. 171 Einwohner (2006). Und da wir hier im Fläming sind, liegt das kleine Dorf schon über 90 m über dem Meeresspiegel, das sind immerhin fast 56 m über der Gegend um den Berliner Hauptbahnhof. Wir atmen hier also echte Höhenluft.

Einfahrt ins Sackgassendorf

Drogen im Dorfteich

Dorfteich mit Fieberklee

Beim Einfahren in Wölmsdorf fällt uns schnell die ungewöhnlich ruhige Ortslage auf, denn aufgrund seiner Sackgassenanlage wird das kleine Dorf bis heute von lärmendem Durchgangsverkehr verschont. So können wir in aller Ruhe den Dorfteich betrachten und stellen verblüfft fest, dass dieser zu einem großen Teil von dichten Fieber- oder Bitterkleebeständen eingenommen wird. Besagter Fieber- oder Sumpf-Bitterklee Menyanthes trifoliata ist eigentlich eine Art der Moore und Sümpfe und wird nicht nur in der Roten Liste des Landes Brandenburg, sondern deutschlandweit als gefährdete Pflanzenart geführt. Er ist zudem eine nach der Bundesartenschutzverordnung besonders geschützte Art.

Die Bezeichnung Bitterklee erklärt sich aus dem bitteren Geschmack dieses Enziangewächses und den wie beim Klee dreizähligen Blättern. Der hochdeutsche Begriff Fieberklee geht auf die Verwendung der Pflanze gegen Fieber zurück, weswegen er in Schleswig auch Feverkrut genannt wird (wurde). Zur Droge bzw. Arznei (auch gegen Magenbeschwerden) verarbeitet werden die getrockneten Blätter. Zumindest früher wurde der Bitterklee auch als Hopfen- oder Teeersatz verwendet. Wer weiß, vielleicht wird der Fieberklee hier ja von einem Wölmsdörfler oder einer Wölmsdörflerin entsprechend genutzt.

Wenemars Dorf

Wölmsdorfer Idylle

Erstmals urkundlich erwähnt wurde der Ort im Jahr 1221 als Wenemaresdorf, ein Jahr später als Welmersdorf. 1753 findet sich in Dokumenten die Schreibweise Wilmsdorff. Der Ortsname leitet sich von dem alten deutschen Personennamen „Wenemar“ ab und deutet auf eine Besiedlung im Rahmen der deutschen Ostkolonisation. Im Jahr 1225 wurde das Dorf durch das Kloster Zinna erworben. Nach der Säkularisation des Klosters im Jahr 1553 wurde Wölmsdorf zusammen mit dem Luckenwaldeschen Kreis magdeburgisch und dem neu gegründeten Amt Zinna unterstellt. In Folge des Westfälischen Friedens von 1648 wurde das Herzogtum Magdeburg im Jahr 1680 dem Kurfürstentum Brandenburg zugesprochen, wodurch Wölmsdorf bis 1806 eine Exklave des Herzogtums Magdeburg innerhalb des Kurfürstentums Sachsen blieb, zu dem alle umliegenden Ortschaften gehörten. Ab 1815 gehörte der Ort zusammen mit dem umgebenden Fläming schließlich zur Provinz Brandenburg im Königreich Preußen. Da stehen wir also wieder in einer der Grenzkoriositäten des Landes Brandenburg (s. auch MR No64).

Schmettausches Kartenwerk 1767-87

Bescheidene Gotik

Südseite der Dorfkirche Wölmsdorf

Etwa 120 m südlich des Dorfteiches stoßen wir auf die kleine Dorfkirche von Wölmsdorf, ein einfacher Saalbau aus Feldsteinmauerwerk, was für den Feldstein-reichen Fläming durchaus typisch ist. Der schmale Rechtecksaal wurde vermutlich nicht in spätmittelalterlicher Zeit, sondern bereits um 1300 erbaut, worauf u.a. die Spitzbogenportale, die ursprünglich kleinen Fensteröffnungen und die Form des Mauerwerks hinweisen.

Nordseite

Erhalten sind die beiden Portale auf der Nordseite, das westliche wird bis heute genutzt, das östliche ist vermauert. Von den Spitzbogenfenstern ist allein das westliche der Nordseite noch in der ursprünglichen Form vorhanden. 1774 erfolgten barocke Umbauten (Fenstererweiterungen u.a.), wobei vermutlich auch ein mächtiger, später verschieferter Westturm mit Pyramidenhelm entstand. Dieser wurde 1968 durch den kleinen, ebenfalls verschieferten und mit einem Pyramidenhelm abgeschlossenen Dachreiter ersetzt. 1968 wurde auch in die ursprünglich geschlossene Westwand ein neues Tor eingebrochen und damit unnötigerweise die historische Bausubstanz geschädigt.

Dorfansichten

Verschiedene Hofansichten

Land(h)aus Lehmann

Ansonsten wird der Dorfkern noch immer von den Straßenfronten klassischer Vierseitenhöfe bestimmt. Am Südende des alten Dorfes weist eine nachwendige Bierreklame von Stauder Pils (aus dem Ruhrpott) auf das Landhaus Lehmann hin. Aber wen wundert es schon, das Landhaus hat längst dicht gemacht. Südlich schließen die üblichen kleinen, bescheidenen Siedlungshäuser an, einige Deutschlandfahnen künden von stolzen Patrioten. Eine arg zerschundene Deutschlandfahne erregt meine besondere Aufmerksamkeit.

Interpretationsfähige Beflaggung

Wie ist das wohl zu verstehen? Ist das geflaggte Ironie, der verzweifelte Protestakt eines Deutschlandverächters oder nur Zeugnis blanker Armut? Wölmsdorf, ein deutsches Dorf im Fläming.

Stil-Leben

Wartehäuschen Wölmsdorf

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