lädt…

Mark Radler

Notizen aus der Provinz

Altes Gutshaus Reckahn

No11 / 5. Februar 2017

Mensch, altes (Guts-) Haus!

Erfahrung 1 – Reckahn (6). Wir schreiben das Jahr 2015. Mark Radler erradelt den südlichen Außenbereich des Havellandes und erkundet inzwischen das Örtchen Reckahn im Planetal.

Bröckelndes Mauerblümchen

Noch in schulische Gedanken versunken (s. MR No10) radle ich Richtung Schloss und werde vom Anblick eines Giebelhauses überrascht, das zur Rechten des Schlosses steht. Da ist doch tatsächlich ein Renaissancegiebel zu bewundern, weshalb ich das „schicke” Barockschloss zur Linken einfach da, nämlich links, liegen lasse.

Renaissancegiebel

Barockschlösser findet man in der Mark ja reichlich, was auch nicht verwunderlich ist, war es doch die große Zeit des aufstrebenden Preußen. Dagegen sind Renaissancebauten bei uns viel seltener – oder sogar kaum noch – anzutreffen, wurden sie doch beim Neubau modernerer Schlösser oder Gutshäuser meist – quasi als alter Schrott – vollständig abgeräumt. Aber ich mag die Renaissancebauten nicht nur wegen ihrer Seltenheit so sehr, sind sie doch noch so ganz nah am Mittelalter dran, der „Geburtszeit” der Mark, und gleichzeitig repräsentieren sie den kreativen Aufbruch des 15./ 16. Jahrhunderts, der – wie üblich leicht verspätet – schließlich auch in der Mark zur Geltung kam. Dabei stimmt es schon, dass der strenge Barock mit seinen symmetrischen Formen eigentlich ganz gut in den rauen Norden, ins stramme Preußen passt. Trotzdem – oder gerade deswegen? – habe ich eine Schwäche für die (märkische) Renaissance.

 

Altes Gutshaus, Nordseite

Und so betrachte ich versonnen dieses alte Haus, das an seinen Seiten leider einen erbärmlichen Bauzustand verrät, und suche vergeblich nach einer lehrreichen Infotafel. Aber denkste, armes Haus, du bist halt kein Bau von preußischer Provenienz, da wird man allzu schnell vergessen und bröckelt dann so vor sich hin. Und so bin ich erstmal ziemlich traurig – in Reckahn. Und ich frage mich, ob ich mich bereits im dustern Teil befinde.

Mensch, altes Haus!

Für einen kurzen Augenblick überkommt mich das Bedürfnis, das arme, alte Haus zum Troste zärtlich zu berühren. In Gedanken flüstere ich ihm sanft zur Seite: „Mensch, altes Haus, halte durch, lass dich bloß nicht unterkriegen. Wir wissen es doch beide: du bist hier die – heimliche – Schöne, die Besondere am Orte.“ Und die spätere Recherche gibt mir auf ganzer Linie recht.

 

Ich finde dieses alte Haus sehr sympathisch, seine Schmuckseite wohl proportioniert, ansehnlich und bescheiden zugleich. Fast beschwörend geht es mir nochmals durch den Kopf: „Halte durch, altes Haus, vielleicht erbarmt sich doch noch einer deiner“.

An dieser Stelle bleibt noch anzumerken, dass das Alte Gutshaus das älteste erhaltene Gebäude in Reckahn sein dürfte.

Traurig schlurfe ich zu meinem Rad zurück, da fällt mir ein kleines Richtungsschild auf – und ich stehe sogleich unter Hochspannung. Auf dem unscheinbaren Holzschild prangt die Aufschrift „Burgwall”.

 

Es gibt ihn also wirklich, den Wall, von dem ich inzwischen drei verschiedene Bezeichnungen kenne: Ringwall, Schlosswall und nun auch noch Burgwall. Na, dann schauen wir mal, wie duster dieses Reckahn sein kann …

MARK RADLER will return …

(Anmerkung vom Februar 2021: Kürzlich hat mich eine aufmerksame Leserin darauf hingewiesen, dass das Alte Gutshaus inzwischen saniert wurde und zu einem Jugend-, Kultur-, Gemeinde- und Konferenzzentrum ausgebaut wird. In Wikipedia heißt es dazu, dass in diesem Zusammenhang bei bauhistorischen Forschungen 2016/ 17 festgestellt wurde, dass der vermeintliche Renaissancegiebel des Hauses in dieser Form erst Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden ist. Leider ist der kurzen Mitteilung nicht zu entnehmen, ob der „neue“ Giebel damals eine Wiederherstellung des historischen Zustands oder eine „freie“ Neugestaltung war. Vermutlich kann diese Frage gar nicht mehr beantwortet werden.

Tja, so ist das. Manch neue Erkenntnis führt zu herber Ernüchterung. Mach’s trotzdem gut, neu-altes Haus!)