Anderthalb Meilen gen Hamburg
Da fahre ich westlich von Hennigsdorf so vor mich hin, als ich am Wegesrand einen seltsamen Sandsteinblock mit einem Herzen darauf erblicke. Das Herz beflügelt sogleich meine Fantasie.
Spur der Steine
Zunächst vermute ich, dass es sich hier womöglich um einen „Liebesstein“ handelt, also einen neuen Trend, der als eine Steigerung der auf vielen Brücken verewigten – und damit inzwischen ziemlich gemein gewordenen – „Liebesschlösser“ ersonnen wurde.
Aber eine kleine Infotafel neben dem Block erstickt sofort meine diesbezüglichen Fantastereien. Denn was hier steht, ist die Nachbildung eines preußischen (!) Postmeilensteins, genau genommen eines Viertelmeilensteins. Was nun wirklich nichts mit Liebe zu tun hat. Weiter erfahre ich, dass diese Art Meilenstein hier Bestandteil des Hauptpostkurses von Berlin nach Hamburg war, allgemein als „Alte Hamburger Poststraße“ bezeichnet. Neben den Viertelmeilensteinen gab es noch Halb- und Ganzmeilensteine in anderer Formgebung. Anhand dieser Steine konnten die Kosten für die Fracht- und Personenbeförderung recht anschaulich berechnet – und vom Fahrgast – kontrolliert werden. Das ganze System wurde ab 1800/ 01 an allen preußischen Poststraßen eingeführt.
Nach einiger Fahrt in westliche Richtung folgt – am Jungferndamm – ein weiterer Sandsteinblock. Dieser ist allerdings deutlich höher als der erste, und ihn „ziert“ auch kein Herz, sondern wirres Geschmiere. Auch hier findet sich eine kleine Infotafel. Wieder handelt es sich um eine Nachbildung, aber dieses Mal um die Nachbildung eines Ganzmeilensteins. Nach „preußischer Elle“ müsste ich seit dem ersten Stein eine Viertelmeile, also knapp 1,9 km zurückgelegt haben. Denn eine preußische Meile entspricht laut Infotafel 7,532485 km.
Geht das nun so weiter, bis nach Hamburg? Das probier‘ ich aus. Also, auf nach Hamburg.
Stein auf Stein
Im Dorf Bötzow folgt der nächste Stein, wieder die Nachbildung eines Viertelmeilensteins. Neben der bekannten Infotafel weist ein Schild darauf hin, dass es bis nach Hamburg noch 34 ¾ Meilen sind, also ca. 261 km. Puh, das schaffe ich heute nicht mehr. Mal sehen, wie weit ich heute noch komme.
In Bötzow gab es früher übrigens ein Amtshaus mit Poststation, in der die Pferde ausgewechselt werden konnten.
Die alte Poststraße von Berlin nach Hamburg bestand hier bereits seit 1654 und wurde zum Teil auf dem alten (mittelalterlichen) Pilgerweg von Berlin zur „Wunderblutkirche“ in Wilsnak eingerichtet. Aus dieser (mittelalterlichen) Zeit ist in Bötzow, das damals noch Kotzeband hieß (s. MR No84), nur noch die Feldsteinkirche erhalten. Aber immerhin.
Die alte Poststraße verlief vom Oranienburger Tor in Berlin über Hennigsdorf, Bötzow, über den Krämer, Flatow, Linum, Fehrbellin, Wusterhausen/ Dosse, Kyritz, Perleberg, Nebelin, Lenzen bis nach Hamburg zum dortigen preußischen Posthaus.
Anfänglich verrichteten nur berittene Dragoner den Postdienst, doch bald wurden diese durch Postkutschen ergänzt.
Ab in den Krämer
Etwa 500 m westlich von Bötzows Ende biegt die alte Poststraße von der Landstraße (Wansdorfer Chaussee) in nordwestliche Richtung ab. Und schon bald stoße ich auf die nächste Halbmeilenstein-Nachbildung.
Nur wenig später führt uns die alte Poststraße in den so genannten Krämer, ein geschlossenes Waldgebiet im Südwestteil des Ländchens Glien. Beim Glien handelt es sich um eine kleinere Grundmoränenplatte, deren slawischer Name „glinny kraj“ „lehmiges Land“ bedeutet.
Im besagten Krämer folgt bald eine weitere Nachbildung eines Viertelmeilensteins, bis wir in der Nähe des ehemaligen Ziegenkruges auf das erhaltene Original eines Ganzmeilensteins stoßen. Von hier sind es noch 34 Meilen bis Hamburg.
Vom 1752 als Waldschenke errichteten Ziegenkrug zeugen heute nur noch einige mächtige Alteichen, und auch die angrenzende Lichtung mag auf eine historische Weideflächen verweisen. Die ruinösen Reste des Ziegenkrugs wurden übrigens 1969 abgetragen.
Bis zur Perwenitzer Chaussee (L 161) folgen noch zwei Meilensteine. Beim letzten handelt es sich wieder um einen Halbmeilenstein.
Ende im Gelände
Etwa 1 km westlich ist schließlich Ende im Gelände. Die Autobahn (A 10) sticht die alte Poststraße. Knapp 252 km vor Hamburg.
Immerhin: über die A 10 und die A 24 könnte man von hier auch nach Hamburg gelangen.
Die Alte Hamburger Poststraße wurde übrigens schon 1830 aufgegeben, nachdem die Neue Hamburger Chaussee, die heutige B 5 (und zeitweilige Transitstrecke durch die DDR von West-Berlin nach Hamburg), fertiggestellt war.
MARK RADLER fährt weiter !
Post Scriptum
Es sei angemerkt, dass man über einen ausgeschilderten Umweg irgendwie und irgendwo weiter westlich wieder auf die alte Poststraße zurückkommt.