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Mark Radler

Notizen aus der Provinz

No77 / 10. März 2019

In die „Wüste Mark“(Teil 3: Am Ziel)

Unsere erste Radlerreportage im Jahr 2019 führte uns in die Wüste Mark bei Berlin. In den ersten beiden Reportageteilen hatten wir es bis Albrechts Teerofen geschafft, wo wir auf die Spuren des ehemaligen Grenzkontrollpunktes Dreilinden gestoßen waren.

Himmel über der Parforceheide

Lichte Partie nördlich der Autobahn

Auf dem weiteren Weg zur Wüsten Mark folgen wir zunächst der Autobahn (A 115). Und wieder befinden wir uns in der Parforceheide, die hier bereichsweise von relativ lichten Kiefernbeständen geprägt wird. Wir stoßen dann bald auf die im Verlauf der Alten Potsdamer Landstraße liegenden Autobahnüberführung und nutzen diese zur Überfahrt und fahren dann Richtung Süden weiter.

Alte Potsdamer Landstraße

Nach etwa 500 Metern, die uns noch immer durch die Parforceheide führen, gelangen wir schließlich auf eine gut 20 ha große Freifläche. Wir haben die Wüste Mark endlich erreicht.

Die Wüste Mark bei Stahnsdorf

Natürlich liegt da vor uns keine Wüste, allenfalls eine „Agrarsteppe“, also Ackerland (allerdings scheint die Fläche derzeit größtenteils brach zu liegen). Der Name Wüste verweist hier vielmehr auf eine Wüstung, also auf eine wüst gefallene bzw. bereits im Mittelalter aufgegebene Siedlung. Nach – nicht unumstrittener – Meinung von Heimatforschern soll sich hier eine Siedlung namens Gerhardsdorf befunden haben, nach der auch eine Straße in Zehlendorf benannt wurde. Aber deswegen sind wir nicht in die Wüste Mark gefahren. Das Besondere an der Wüsten Mark ist, dass sie von 1945 (bzw. 1948)-1988 eine West-Berliner Exklave auf DDR-Territorium war, also ein kleines Stück West-Berlin innerhalb der DDR.

Der Nordrand der „Wüste“

Seit der Bildung Groß-Berlins im Jahre 1920 gehörte die Wüste Mark als Teil des neu gebildeten Verwaltungsbezirks Zehlendorf zum neuen Groß-Berlin. Bis zur Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg hatte dies jedoch keine relevanten Auswirkungen. Erst mit der Aufteilung Berlins in die vier Sektoren (der vier Siegermächte) änderte sich das und der Bezirk Zehlendorf wurde – mit all seinen früheren Landgemeinden und Gutsbezirken, also auch der Wüsten Mark – dem amerikanischen Sektor zugeteilt, und war damit Teil des später so genannten West-Berlins. Mit der Gründung der DDR im Jahr 1948 und dem 1952 geltenden Zutrittsverbot für West-Berliner, von dem (bis 1961) nur Ost-Berlin ausgenommen war, entstanden dann diese politisch skurrilen Gebilde, die als West-Berliner Exklaven in die Geschichte eingegangen sind (außer der Wüsten Mark gab es noch weitere West-Berliner Exklaven auf DDR-Gebiet; seltsamerweise gehörten zum östlichen Teil Berlins keine entsprechenden Gebietssprengsel außerhalb des geschlossenen Stadtgebietes).

Blick von Nordosten

Ab 1952 war die Wüste Mark als Teil West-Berlins für West-Berliner also nicht mehr zugänglich. Eigentlich. Aber als der Zehlendorfer Landwirt Hans Erich Wendt die „Wüste“ 1959 pachtete und auch bewirtschaften wollte, ließen ihn die DDR-Behörden zunächst gewähren. Mit dem Mauerbau im August 1961 änderte sich dies allerdings, und dem Bauern Wendt wurde die Fahrt zur Wüsten Mark nun verwehrt. Im Jahr 1965 erlangte er dann eine Sondergenehmigung der DDR-Behörden und konnte bis 1988 mit seinen landwirtschaftlichen Geräten über den Grenzkontrollpunkt Dreilinden und über die Transitautobahn in die DDR „einreisen“ und zu seinen Pachtflächen auf der Wüsten Mark fahren und diese wieder bewirtschaften. Soweit bekannt, wurden hier überwiegend Kartoffeln und Roggen angebaut.

Im Zuge eines zwischen West-Berlin und der DDR ausgehandelten Gebietsaustausches im Jahre 1988 wurde die Wüste Mark (und andere zu West-Berlin gehörende Flächen) gegen einige DDR-Flächen eingetauscht, worunter sich auch das so genannte Lenné-Dreieck am Potsdamer Platz befand. Seitdem gehört die Wüste Mark zur Gemeinde Stahnsdorf.

Blick von Südosten auf die Wüste Mark

Soweit bekannt ist, war die Wüste Mark zu „Exklavezeiten“ nie eingezäunt, allerdings kennzeichneten Grenzgebietsschilder sie als verbotenes Grenzgebiet. Ob die Fläche einer besonderen Bewachung unterlag, ist nicht bekannt, aber eher unwahrscheinlich. Theoretisch wäre es also selbst nach dem Mauerbau für DDR-Bürger durchaus möglich gewesen, hier ohne Lebensgefahr West-Berliner Gebiet zu erreichen. Nur hätte das herzlich wenig gebracht (außer das zweifelhafte Gefühl, es in den „Westen“ geschafft zu haben).

Alter Stadtplan von 1966

In einem Internetforum zur „innerdeutschen Grenze“ fand ich kürzlich tatsächlich einen Eintrag, in dem ein Nutzer ernsthaft die Frage gestellt hat, warum DDR-Bürger diese Fluchtmöglichkeit nicht genutzt haben. Ein Flüchtling hätte hier doch einfach nur dem Bauern Wendt eine Botschaft übergeben brauchen, woraufhin ihn ein US-Hubschrauber aus der Wüste hätte abholen können. So einfach wäre das also gewesen. Wer weiß, vielleicht liegt da ja in der „Wüste“ tatsächlich das Gerippe eines ewig Wartenden.

Heute ist die Wüste Mark nur noch ein gewöhnliches Stück Agrarland. Wenn da die Geschichte nicht wäre.