Pyramide fürgegen einen König
Erfahrung 1 – Reckahn (3). Wir schreiben das Jahr 2015. Mark Radler erradelt den südlichen Außenbereich des Havellandes. Nach der Erkundung Göttins ist das Örtchen Reckahn an der Reihe.
Ein Haufen Findlinge am Waldrand
Ich fahre durch den dichten Krähenforst und sehe den Waldrand vor mir bereits hell erleuchten, ich bin ihr also schon ganz nahe, der Pyramide zu Reckahn. Mein Herz schlägt wie ein Eisenhammer. Und dann geht alles so schnell. Noch eben im Wald stehe ich plötzlich am Rande einer unendlich erscheinenden Lichtung …
… und vor einem Haufen Steine. Entgeistert starre ich auf das Ding vor mir, das sich nur ein wenig über mich erhebt. Das war’s also mit meinem Märkischen Weltenwunder. Da höre ich in meinem Innern eine mahnende Stimme: „Ich warnte dich doch vor gröblichen Augen und riet dir zu feinsten Sinnen!“. Du hast ja recht, Theodor, so ein Weltenwunder im Märkischen will auf sehr bescheidene Art betrachtet sein. Schauen wir also genau hin. Zunächst wäre zu klären, was es mit dem Sonnengott auf sich haben könnte. Wenn überhaupt, dann kann es sich hier ja allenfalls um ein sehr kleines Sonnengöttlein gehandelt haben. Aber nicht einmal darum geht es hier, lerne ich schnell anhand der kleinen Infotafel.
Ein Mahnmal gegen den großen König
Bei dieser Pyramide geht’s mal wieder, wie so oft, um Militär und Krieg. Dieses Mal sind wir im Kriegsgeschehen des 18. Jahrhunderts angelangt.
Von Frühjahr bis Herbst 1741 kampierten und operierten zwischen Reckahn, Göttin und Krahne bis zu ca. 42.000 Mann des preußischen Observationscorps unter Beteiligung von Infanterie, Kavallerie und Artillerie, was zu großen Verwüstungen der Gegend und großem Missmut der hiesigen Herrschaft und Bevölkerung geführt hatte. Nach den Überlieferungen sind dabei auch Hunderte von Toten zu beklagen gewesen. Das muss man sich einmal vorstellen: 42.000 Mann, die jeden Tag verpflegt werden mussten, die tonnenweise Abfälle und anderes hinterließen. Und natürlich haben die hier nicht nur Däumchen gedreht, sondern sind marschiert und haben vermutlich permanent Krieg „gespielt”. Der große Friedrich war ja gerade dabei Schlesien zu erobern, die Truppen sollten hier Preußens Rücken decken. Kein Wunder, dass hier großflächig die Felder zertrampelt, zerwühlt und dadurch die Ernte verwüstet und die Wälder großflächig abgeholzt wurden, wie es überliefert ist. Für die immensen Schäden wurden dann keine oder nur geringe Entschädigungen gezahlt. Aus Protest dagegen ließ daraufhin Friedrich Wilhelm von Rochow, der damalige Gutsherr von Reckahn, Jahre später diese Pyramide mit folgender Inschrift errichten: „Im Jahre 1741 stand hier gegen Osten das preußische Lager von 42.000 Mann in 12 Treffen ein halbes Jahr von Göttin bis Krahne zum großen, unersetzten Schaden dieser Dörfer.”
Preußenwunder
So gesehen stehen wir also immerhin vor einem großen Preußenwunder, protestierte hier doch ein namhafter preußischer Gutsherr gegen die Rücksichtslosigkeit der „heiligen” preußischen Armee und den absolutistischen Regenten. Die Pyramide von Reckahn ist damit vor allem ein Mahnmal gegen den großen König. Ein selten Ding also.
Mehr als flüssig, überflüssig: pyramidales Husarengedenken
In diesem Zusammenhang finde ich es übrigens etwas unpassend, dass 1907 ausgerechnet dieses militärkritische Mahnmal mit einer weiteren Gedenktafel ausgerechnet zur Traditionsstätte des Leib-Husaren-Regiments der preußischen Armee umfunktioniert wurde. Denn die besagten Husaren waren ja sicher am beklagten „großen, unersetzten Schaden” nicht ganz unbeteiligt, um das mal ganz vorsichtig auszudrücken. Die „neue” Gedenktafel von 1907 erinnert nämlich an die während des verheerenden Heerlagers erfolgte Gründung oder Aufstellung des Regiments „Schwarze Husaren”. Hätten sie, von mir aus, doch einen eigenen Steinhaufen auftürmen oder sonst was für ihre Schwarzen Husaren errichten können, aber dieser Missbrauch eines militärkritischen Mahnmals nenne ich einfach nur schäbig, mindestens geschmacklos. Übrigens wurde die Pyramide samt Gedenktafeln 1991/92 durch das Panzerbataillon 80 der Bundeswehr in Zusammenarbeit mit dem Husaren-Traditionsverband restauriert. Und da ging es sicher weniger um das Mahnmal des alten von Rochow. Ist schon interessant, was die Bundeswehr so zu pflegen tut …
Von sagenhafter Sonnenkrafthistorie
Vor der am Waldrand stehenden Pyramide erstreckt sich heute übrigens großflächig der andere Teil des „Solarparks Reckahn” (s. MR No6). Und deswegen möchte ich noch kurz auf eine originelle Randnotiz zur Pyramidengeschichte eingehen. Nach einer Überlieferung soll besagter von Rochow kurz nach Errichtung der Pyramide auf ihr einen Spiegel angebracht haben, der bei Sonnenuntergang von dort das letzte Sonnenlicht auf ein Fenster des 1,3 km entfernten und etwa 25 m tiefer gelegenen Schlosses geworfen haben soll. Sollte diese Geschichte wahr sein, dann hätte die künstliche Nutzung des Sonnenlichtes eine über zweihundertjährige Tradition in Reckahn. Wenn das kein gutes Omen ist – für den Solarpark Reckahn.