lädt…

Mark Radler

Notizen aus der Provinz

No22 / 26. März 2017

Euthanasiemorde in Brandenburg an der Havel

April 2016. MARK RADLER sucht nach winterlichen Recherchen, die einen örtlichen Bezug des letztjährigen Exkursions-/ Erfahrungsgebietes (Göttin und Umgebung) zum ersten Massenmordprogramm der Nazis aufzeigten, die seit 2012 bestehende „Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasie-Morde in Brandenburg an der Havel” (Nicolaiplatz 28) auf.

Vom Hauptbahnhof Brandenburg sind es etwa 2 km bis zur gesuchten Gedenkstätte am Nicolaiplatz 28, der südwestlich der Altstadt und jenseits der Brandenburger Niederhavel liegt. Grob gesehen geht es Richtung Marienberg.

Hauptgebäude der ehemaligen „Landes-Pflegeanstalt“

Ein großer sanierter Gebäudekomplex, in dem heute die Stadtverwaltung der Stadt Brandenburg residiert, markiert das Gelände des „Alten Zuchthauses“, das die Nazis 1940 zur Mordanstalt für „unwerte Menschen“ umfunktionierten. Am Hauptgebäude findet sich eine Informations- bzw. Gedenktafel, die einen kurzen Überblick über die monströse Geschichte des Geländes gibt.

 

Gedenktafel am Hauptgebäude

Beim Anblick des Gebäudekomplexes wird einem erst richtig bewusst, dass dieser Massenmord inmitten der Stadt stattfand. Die Nazis bezeichneten den Komplex damals zwar irreführend als „Landes-Pflegeanstalt Brandenburg a. H.”, allerdings kann es den Anwohnern kaum entgangen sein, dass hier monatlich etwa 1000 Menschen in grauen Bussen angekarrt wurden und diese Anstalt nicht auf entsprechendem Weg wieder verlassen haben (von den qualmenden Verbrennungsöfen ganz zu schweigen). Von Januar bis Oktober 1940 wurden hier nach aktuellen Erkenntnissen 9.772 Menschen in einer Gaskammer ermordet und bis Ende Juni auf dem Gelände auch verbrannt. Die Opfer wurden dabei aus dem gesamten nord- und mitteldeutschen Raum „eingesammelt” und über Zwischenstationen hierher verfrachtet. Es war dann wohl der aufkommende Unmut in der Bevölkerung über den Krematoriumsgeruch, der die Planer der „T4-Aktion”, so benannt nach deren Zentrale in der Berliner Tiergartenstraße 4, dazu bewog, ab Juli 1940 die Ermordeten weit außerhalb der Stadt zu verbrennen, im ca. 6 km südöstlich der Stadt Brandenburg gelegenen Paterdamm, das nur knapp 3 km östlich von Göttin liegt, wo unsere erste Erfahrung im Jahr 1915 begonnen hatte (s. MR No2). Allerdings ist es den Quellen nicht eindeutig zu entnehmen, ob sich dieser Unmut der Bevölkerung wirklich auf das verbrecherische Morden bezog, oder sich nicht doch nur gegen die unangenehme Geruchsbelästigung als solche richtete. Immerhin setzten die Nazis den organisierten Massenmord mitten in der Stadt Brandenburg bis Ende Oktober 1940 ungerührt fort.

Westseite des Gebäudekomplexes

Die Gedenkstätte samt Dauerausstellung liegt südwestlich des Hauptgebäudes. Neben dem Ausstellungsgebäude findet sich auf dem hinteren Teil des Geländes ein besonders gestalteter Erinnerungsort. Hier befand sich die so genannte Anstaltsscheune, in der die Morde durchgeführt wurden. Besagte Anstaltsscheune wurde 1996/ 97 von Archäologen bei Ausgrabungen lokalisiert. Der genaue Standort der „Scheune” wird durch einen Ziegelsteinsockel markiert. Hier war die als Duschraum getarnte Gaskammer installiert, in der meist etwa 30 Menschen zugleich vergast wurden. Die Tötung erfolgte durch Kohlenmonoxidgas, das in der Regel etwa 20 Minuten in die Kammer eingelassen wurde, bis sich dort keine Bewegung mehr feststellen ließ. Die Leichen wurden bis Ende Juni in mobilen Brennöfen auf dem Anstaltsgelände verbrannt (dieser Standort ist bis jetzt nicht gefunden worden), ab Juli bis Oktober erfolgte die Verbrennung der Toten dann im abgelegenen Paterdamm. Die Goldkronen der Ermordeten wurden – wie später in den Massenvernichtungslagern im Osten – vorher herausgebrochen, das so gewonnene Rohmaterial über die Zentraldienststelle T4 an die Degussa geliefert und dort zu Feingold verarbeitet.

Standort der „Anstaltsscheune“

Um den Besucher emotional anzusprechen, werden am Erinnerungsort auf verschiedenen Stelen einige der damaligen Opfer in Bild und kurzen Erläuterungen vorgestellt. In der Ausstellung werden die Eindrücke vertieft und die Zusammenhänge des Mordprogramms genauer erläutert.

Stelen der Gedenkstätte

Beispielhafte Schicksale

Inmitten der Stadt

Die Mord-Anstalt auf dem Gelände des Alten Zuchthauses Brandenburg war eine der ersten Tötungs-/ Mordeinrichtungen der „Aktion T4″. Hier wurde Anfang Januar 1940 probeweise die effektive Ermordung mit Giftgas durchgeführt und nach „erfolgreichem“ Testverlauf dann als Standardmethode für den weiteren Massenmord (insbesondere der Juden) festgelegt. Bereits in Brandenburg erfolgte die Ermordung der Opfer in einer als Duschraum „getarnten” Gaskammer. Unter den Opfern waren übrigens auch vielfach Menschen, denen man Diagnosen und Krankheitsbilder unterstellte, weil sie sozial auffällig waren oder sich der NS-Ideologie widersetzten. Im Oktober 1940 wurde die Mordaktion in Brandenburg vermutlich aufgrund der zu zentralen Lage in der Stadt eingestellt und nach Bernburg in Sachsen-Anhalt verlagert. Die gesamte Aktion wurde im August 1941 aufgrund anhaltender Proteste – insbesondere aus kirchlichen Kreisen – eingestellt. Viele der nun freigewordenen Mitarbeiter der „Euthanasie-Anstalten“ setzten ihre Tätigkeit als „erfahrene Spezialisten” bei der zeitgleich anlaufenden systematischen Ausrottung/ Ermordung der Juden in Europa fort. Dazu gab es in Deutschland dann kaum noch Beunruhigung oder Proteste. Dieser Völkermord wurde erst von den Alliierten, in den eigentlichen Vernichtungslagern im Osten von der Roten Armee, beendet.

Die systematische Ermordung „unwerten Lebens“ in Brandenburg ist nun 77 Jahre her. Wir reden hier also nicht über das ferne Mittelalter, sondern eine Zeit, die noch einige der unter uns Lebenden selbst erlebt hat. Inmitten der christlich geprägten Kulturnation Deutschland.

Mark Radler erscheint die Gestaltung der Gedenkstätte angemessen und würdig – und damit gelungen. MARK RADLER kann einen Besuch nur empfehlen.

Ausstellungsgebäude

Nächstes Ziel ist Paterdamm.

MARK RADLER will return …