Erfahrung 2 – Prolog
Wie in den letzten Notizen (MR No19 und MR No20) erwähnt , wollte Mark Radler seine erste Tour, die ihn im Sommer 2015 durchs Planetal von Brandenburg bis Krahne geführt hatte, an einem anderen Tag fortsetzen. Im Jahr 2015 fand sich dazu keine Gelegenheit mehr. Dadurch konnte aber der lange Winter für mehr oder weniger ausführliche Recherchen genutzt werden. Dabei ging es vor allem um Fragen zu Burgwall und Herrensitz Reckahn. Doch die Recherchen führten dann erstmal zu einem monströsen Kapitel brandenburgischer Geschichte.
Monströses (in) Brandenburg
Bei den erwähnten Recherchen zum Burgwall Reckahn war ich im Internet bei Google Books auf ein interessantes Buch von Sebastian Kinder und Haik Thomas Porada über die Stadt Brandenburg und Umgebung gestoßen. Da bei Google Books nur Buchauszüge – ohne Abbildungen – verfügbar sind, habe ich mir das Buch dann auf traditionelle Weise, also als analoges Druckwerk, zugelegt. Hier finden sich wirklich sehr vielfältige Informationen über die Region, die mir auch Anregungen und Informationen für weitere Touren geliefert haben und liefern werden. Natürlich habe ich zunächst die Kapitel der von mir bereits besuchten Orte (Göttin, Reckahn und Krahne) durchgelesen. In Kapitel “D 3 – Göttin und Paterdamm” bin ich dann auf ein besonders düsteres und bewegendes Kapitel brandenburgisch-deutscher Geschichte gestoßen. Zum etwa 3,3 km östlich von Göttin gelegenen kleinen Ort Paterdamm steht dort:
„Im Rahmen des ‘Euthanasie’-Programms ‘Aktion T4′ wurden 1940 auf einem Gehöft in Paterdamm Verbrennungsöfen für die ermordeten Insassen der Heil- und Pflegeanstalten in der Provinz Brandenburg betrieben.”
Angesichts der Ungeheuerlichkeit des Mordprogramms namens T4 hat mich die kurze – und sehr beiläufig wirkende – Randnotiz in diesem Buch doch etwas irritiert, zumal die Autoren zu anderen Themen mitunter geradezu ausschweifend informieren. So musste ich meinen Wissensdrang selber stillen. Im Internet braucht man nur kurz recherchieren, dann wird einem schnell klar, dass die Stadt Brandenburg im Gesamtzusammenhang der erwähnten „T4-Aktion”, die nichts anderes als ein systematisch betriebener Massenmord war, eine herausragende Bedeutung hatte. Die Nazis – und ihre zahlreichen Mittäter – hatten mit diesem „Programm” die Vernichtung „unwerten Lebens” zum Ziel, womit insbesondere hilfebedürftige bzw. behinderte Menschen gemeint waren. In der Stadt Brandenburg entstand eine von insgesamt sechs „Tötungsanstalten”, Mordanstalten trifft es besser, in ganz Deutschland, womit die Stadt als ein zentraler Vollzugsort dieses ersten Massenmordverbrechens der Nazis bezeichnet werden kann. Insgesamt wurden im Rahmen dieses Mordprojektes in Deutschland zwischen 1939 und 1941 etwa 70.000 Menschen ermordet, davon mitten in der Stadt Brandenburg fast 10.000. In diesem monströsen Zusammenhang steht das besagte Gehöft in Paterdamm. Das erfordert nach meinem Empfinden mehr als nur eine Randnotiz.
Die Ungeheuerlichkeit dieses Verbrechens und der plötzlich so konkret gewordene örtliche Bezug ließen mich nicht mehr in Ruhe. Ich wollte, ich musste nun mehr darüber wissen. Vom „Euthanasie-Programm” der Nazis hatte ich natürlich schon vorher gehört und gelesen, aber der lokale/ regionale Bezug zur Stadt Brandenburg war mir bis dahin nicht geläufig. Im Internet findet man zu den Euthanasieverbrechen der Nazis sehr detaillierte Informationen. Beispielhaft genannt seien:
https://de.wikipedia.org/wiki/Aktion_T4 und http://www.stiftung-bg.de/doku/neues/neues_m1.htm
Über diese Quellen erschließt sich schnell, dass in der Stadt Brandenburg auf dem Gelände des „Alten Zuchthauses” im Jahr 2012 eine „Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasie-Morde in Brandenburg an der Havel” mit einer Dauerausstellung eingerichtet wurde (Nicolaiplatz 28). Anfang 2016 entschloss sich Mark Radler, diese – und im Anschluss daran den Ort Paterdamm – aufzusuchen. Damit stand das Programm für Erfahrung 2 fest.
Im April 2016 ging es dann mit Rad und RE1 in die Stadt Brandenburg.