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Mark Radler

Notizen aus der Provinz

No95 / 25. April 2021

Vehlgast – die Ruhe selbst

Unsere jetzige Etappe (der zweiten Haveltour) startete in Havelberg, von wo es Havel aufwärts nach Strohdehne geht. Auf der Nordostroute erreichten wir zuletzt Wöplitz (s. MR No94) und fahren nun weiter nach Vehlgast und anschließend durch die Dosseniederung.

Blick zurück nach Havelberg

Gewässervielfalt oder -wirrwarr

Hinter Wöplitz biegen wir in südöstlicher Richtung ab und tauchen tief in die Havelniederung ein, in der uns eine vielfach von Dämmen und Gräben durchgezogene Flussauenlandschaft erwartet. Unser aktuelles Etappenziel ist das Haveldorf Vehlgast.

Havelniederung mit Wiesengraben

Aber bevor wir uns Landschaft und Natur hingeben, sei historisch Interessierten ein Abstecher zum Großen Burgwall empfohlen, bei dem es sich um die noch recht gut sichtbaren Reste einer slawischen Wallburg aus dem 11. Jahrhundert handelt. Näheres dazu findet ihr in MR No54.

Neue Jäglitz bei Lütow

Heute führt uns der Weg erstmal zu einer kleine Brücke über das Prignitz-Flüsschen Neue Jäglitz. Es gibt übrigens auch noch eine Alte Jäglitz. Dass mit den Fließverhältnissen ist im Elb-Havelwinkel ausgesprochen unübersichtlich. Die Wasserbauer haben sich hier in Jahrhunderten richtig austoben können. Alte Fließläufe wurden abgekappt oder zugeschüttet, andere begradigt und vor allem neue Fließstrecken geschaffen und die Wiesen mit unzähligen Entwässerungsgräben durchzogen.

Dieses Durcheinander betrifft nicht nur die Havel selbst, deren Altarme zum Großteil verschwunden oder teilweise allenfalls als „abgehängte“ Flussschleifen überdauert haben, sondern auch für die meisten Zuflüsse. Von den kleinen Prignitzflüssen Dosse und Jäglitz gibt es jeweils zwei neue und alte „Ausgaben“. Und alle sind durch ein kleinteiliges Grabensystem auf vielfältige Weise miteinander verbunden.

Da stellt sich die Frage, ob die Wasserbauer selbst noch verstehen, warum und wo welche Wassermengen wann ankommen oder verschwinden.

Im Vogelparadies

An der kleinen Jäglitzbrücke befand sich noch im Jahr 2017 ein Vogelbeoachtungsturm, der so genannte Turm Lütow, der 2019 verschwunden war. Ob er inzwischen wieder aufgebaut worden ist, konnte ich Corona-bedingt nicht überprüfen.

Vogelbeobachtungs-Turm Lütow im Jahr 2017

Die untere Havellandschaft gilt als ein überregional bedeutendes Rast- und Sammelgebiet für Zugvögel und bietet hier zu jeder Jahreszeit überwältigende Natureindrücke. Allein schon die Weite ist beeindruckend, auch wenn man den Wiesen mitunter leider allzu deutlich ansieht, dass sie aufgrund von Melioration und Bewirtschaftung ökologisch inzwischen mehr oder weniger verarmt sind.

Havelwiesen mit Wiesen-Flockenblume

Überstaute Wiesenlandschaft im Frühjahr

Aber halten wir uns an das Positive. Im Frühjahr sind weite Teile der Havelwiesen überflutet, wodurch sich noch immer eine überwältigend vielfältige Wasserlandschaft und ein wahres Wasservogelparadies ergibt. Und im Herbst sammeln sich im Unterhavelgebiet jedes Jahr mehrere tausend Kraniche, um von hier in ihre Winterquartiere in Spanien und Nordwestafrika zu fliegen.

Vehlgast an der Havel

In Vehlgast zur Ruhe finden

Weiter geht’s zum Haveldorf Vehlgast, das von unserem Standpunkt Jäglitzbrücke nur 2,5 km entfernt ist. Aufgrund der nassen Niederung und unzähligen Gräben müssen wir allerdings einen großen Bogen fahren und sind erst nach etwa 5 km dort.

Auf dem Weg nach Vehlgast

Vehlgast ist ein altes Fischerdorf und liegt unmittelbar an einer alten Havelschlinge, der Vehlgaster Havel, die im Rahmen der Havelrenaturierung erst in den letzten Jahren wieder vollständig, d.h. beidseitig, zur Havel geöffnet wurde.

 

Ort und Ortsname sind mal wieder slawischen Ursprungs, reichen also bis in das frühe Mittelalter zurück. Die erste urkundliche Erwähnung als Welegast stammt allerdings erst aus dem späten Mittelalter, nämlich dem Jahre 1488. Über die Bedeutung des Namens habe ich bedauerlicherweise nichts in Erfahrung bringen können, aber ganz sicher sollte damit nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass hier der Gast fehl am Platze sei.

Blick auf Vehlgast von Osten

 

Über die Geschichte und Bebauung des Ortes schweigen sich nicht nur die Infotafeln des Ortes, sondern auch Wikipedia weitgehend aus. Etwas Näheres fand sich nur zur Dorfkirche bzw. mehreren davon.

Das Vehlgast noch im 17. Jahrhundert nur eine Holzkirche hatte, die im 30jährigen Krieg vollständig abbrannte, deutet auf einst sehr ärmliche Verhältnisse hin. Die heutige Kirche stammt aus dem 19. Jahrhundert. Zur übrigen Bebauung und den zahlreichen Baudenkmalen fand ich leider keine näheren Angaben, auch nicht auf der Webseite der Denkmalamtschutzbehörde von Sachsen-Anhalt.

Ja, wir sind noch immer in Sachsen-Anhalt.

 

Der besondere Charme von Vehlgast ergibt sich vor allem durch seine unmittelbare Lage an der Vehlgaster Havel (es gibt nur wenige Haveldörfer, die so dicht ans Havelufer reichen) und nicht zuletzt durch seine vollkommene Abgeschiedenheit. Hier gibt es keinerlei Durchgangsverkehr, denn in Vehlgast ist Dank der Havel für den KFZ-Verkehr Ende im Gelände.

Die Vehlgaster Havel

Und deshalb finden wir himmlische Ruhe in Vehlgast. Dafür allerdings auch keinerlei gastronomische Angebote. In diesem engen Sinne kann sich mancher Gast freilich dann doch etwas fehl am Platze fühlen. Aber wir sollten nicht vergessen, dass auch wegen einer fehlenden Einkehrmöglichkeit es hier sehr wenig „Zielverkehr“ gibt.

Und das ist die Sache doch wert.

Blick auf Vehlgast von der Kuhlhausener Havelseite

Havel bei Vehlgast

MARK RADLER fährt weiter …

Die Route von Wöplitz nach Vehlgast